Wenn der Montag einfach nicht rund läuft
Ein schwieriger Wochenstart mit Philip
„Schon als ich die Klasse zur 2. Stunde betrat, konnte ich an Philips in die Ecke gepfefferten Schuhen sehen, dass er keinen guten Start in die Woche hat.“
Es ist Montag, und irgendetwas hängt schief. Bereits als ich den Vorraum der Klasse betrete, sehe ich Philips Schuhe in der Ecke liegen – ein klares Zeichen, dass dieser Montag für ihn alles andere als gut begonnen hat. In den letzten Wochen lief es so ruhig. Philip zeigte im Unterricht Motivation, ließ sich für Themen begeistern und erntete dafür viel Lob und Anerkennung von den Lehrerinnen. Auch in den Pausen spielte er entweder mit mir, seiner Schulbegleiterin, oder zunehmend mit den anderen Kindern. Doch heute scheint der Wurm drin zu sein.
Wir überstehen die zweite Stunde gemeinsam, und Philip beteiligt sich sogar gut an einer Gruppenarbeit. In der kleinen Pause gelingt es mir, die Klassenlehrerin zu fragen, was los ist. „Es ist wegen der Schuhe von Lara.“ Doch schon muss sie weiter, und die dritte Stunde beginnt. „Was war denn mit Laras Schuhen?“, frage ich Philip. „Ach nichts, die sind irgendwie verloren… keine Ahnung.“ Ich kenne meinen Pappenheimer, und „irgendwie verloren“ bedeutete bisher immer „irgendwie verschwinden lassen“.
Das Schuhproblem und der Elternbrief
In der nächsten Pause stellt sich heraus, dass das Schuhproblem bereits seit letztem Dienstag besteht. An diesem Nachmittag war ich nicht in der Schule, und Philip hat zusammen mit einem Klassenkameraden Laras Sportschuhe in einen Papierkorb umgesiedelt. Nun haben sich jedoch ihre Eltern beschwert, fordern Ersatz bzw. Entschädigung, und Philip und sein Klassenkamerad sollen ihre eigenen Eltern darüber informieren. Dafür gab es einen Elternbrief, den beide am Montagmorgen erhalten haben.
Der Vormittag vergeht, und ich bin gerade einmal mit der Ursachenforschung durch. Ich bin nur zehn Stunden in der Woche für Philip in der Schule, und kein Lehrer hatte mir vom Vorfall berichtet. Philip hatte es scheinbar effektiv verdrängt, und nun stehen wir vor dem Problem.
In der langen Mittagspause setze ich mich mit Philip zusammen.
„Was machen wir jetzt? Deine Mutter muss informiert werden, die Schuhe müssen ersetzt werden. Daran führt kein Weg vorbei.“
„Ich geb’ den Brief nicht ab.“ „Wo ist der Brief denn jetzt?“ „Weiß nicht… irgendwie verschwunden.“
Die Zwickmühle: Kurzfristige Konsequenzen vs. langfristige Lösungen
„45 Minuten versucht er sich aus der Misere zu winden, und ich versuche ihm klarzumachen, dass die Kopf-in-Sand-Strategie nicht helfen wird.“
„Mama ist dann total sauer. Die soll das nicht wissen!“ „Die Schule wird sie aber informieren. Entweder über den Brief, oder irgendwann mit einem Anruf durch deine Lehrerin.“
Es ist eine blöde Zwickmühle. Philip sieht nur die unmittelbare Konsequenz – Ärger mit seiner Mutter. Die Lehrer hingegen haben wirklich keine Lust, noch mehr Zeit für die Klärung eines so unnötigen Konflikts aufzuwenden. Der Stress ist schon jetzt spürbar, und wenn sie auch noch telefonieren müssen, bleiben die Anliegen anderer Kinder wieder einmal auf der Strecke.
„Was hältst du davon, wenn statt deiner Klassenlehrerin ich bei deiner Mutter anrufe?“ „Hm.“ „Ich kann ihr z. B. erklären, dass du nicht der einzige Verantwortliche bist. Und dabei erzähle ich ihr außerdem, wie klasse du heute bei der Gruppenarbeit mitgemacht hast.“ „Kannst du ganz spät anrufen? Dann bin ich schon im Bett.“
Ich muss lachen. Aus Philip wird sicher mal ein erstklassiger Basarhändler. Wir einigen uns darauf, dass ich mit den Lehrern abkläre, dass ich seine Mutter kontaktiere. In dem Telefonat werde ich ein kleines Loblied auf Philips Entwicklung singen und dann Laras Schuhe zur Sprache bringen. Deal? Deal!
Ein Moment der Erkenntnis: „Warum machst du das alles?“
Als wir in den Rest der Pause gehen wollen – das Versteckenspielen haben wir uns wirklich verdient – bleibt Philip plötzlich stehen.
„Wieso machst du das eigentlich alles?“, fragt er mich und schaut mich ernst an. Zum ersten Mal scheint er sich zu fragen, warum ich mich für ihn einsetze. Zum ersten Mal wird ihm bewusst, dass sich jemand wirklich für ihn engagiert.
„Weil du ein toller Junge bist und ich dir dabei helfen möchte, dass auch die anderen das sehen“, antworte ich ihm.
„Weil ich hier bin, um die Teufelskreise aus Anspruch, Frust und Ärger auf allen Seiten zu durchbrechen – spreche ich nicht aus, weil er dann schon wieder durch die Tür flitzt. Weil du dich versteckst und ich dich sehe.“
Alle Namen wurden geändert. Die Autorin Lea Falk ist Psychologin und Schulbegleiterin aus Hamburg.